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TOTGEGLAUBTE SINGEN LÄNGER - Stern 1994
Autor: CHRISTIAN KRUG
From the German magazin "Der Stern"
TOTGEGLAUBTE SINGEN LÄNGER
Mein Vater glaubt, daß alle meine Probleme vom Haschen kommen", sagt Sinead O'Connor und dreht sich einen Joint."Das ist natürlich Quatsch.Es zeigt n ur, daß wir in unserer Familie nie miteinander reden konnten."Auf ihrem neuen Album widmet sie ihrem Vater einen Song: "Ich bin kein Fußball, den man im Garten herumschießen kann, und bin auch kein Tier im Zoo."
Die Herumgeschossene, die Ungeliebte, die Verstörte.Nach zwei Jahren klösterlicher Schweigsamkeit ist Sinead O'Connor als Märtyrerin vom Dienst zurückgekehrt.Und es scheint, als sei sie von der Lösung ihrer Probleme, die ihr Leben zum öffentlichen Alptraum werden ließen, noch ziemlich weit entfernt.
"Werde ich wahnsinnig, oder bringe ich mich lieber um?"Dieser Gedanke hatte Sinead O'Connors Denken in den vergangenen Jahren beherrscht.Ein Selbstmordversuch scheiterte, ihre Angst blieb: "Bin ich vielleicht wirklich so verrückt, wie die meisten Menschen sagen?"
Vor zwei Jahren galt sie in der Tat als völlig durchgeknallt.Bei einem Konzert im New Yorker Madison Square Garden schrie sie ihren Lieblingssatz - "Der Papst ist der Hauptfeind der Menschheit" - ins Mikrofon und zerriß dabei ein Bild von Johannes Paul 11. 18000 Zuschauer buhten die Sängerin aus dem Saal.
In dieser Nacht entschließt sie sich, nie wieder einen Song zu schreiben."Es hat keinen Sinn, Musik als Kommunikationsform zu benutzen."In den folgenden Wochen versteigt sich die zutiefst gottesfürchtige Sängerin immer tiefer in ihren antikirchlichen Wahn, gibt dem katholischen Klerus die alleinige Schuld an allen Kriegen, Vergewaltigungen, Massenmorden und Kindesmißhandlungen auf der Welt.
Sineads Kindheitstrauma ihre Mutter prügelte sie mit einem Hockeyschläger windelweich - wird zur Obsession.Sie kann kein Interview geben, ohne mit weit aufgerissenen Rehaugen, erstickter Stimme und geballten Fäusten darüber zu sprechen.
Ihre Interviews gerieten zu psychiatrischen Sitzungen, an denen das ganze britische Königreich teilnahm.Als sie zugab, zweimal abgetrieben zu haben, spuckten ihr fremde Menschen in Dublin ins Gesicht: "Dich hätte man abtreiben sollen, du Hure des Teufels."
Damals war es gerade drei Jahre her, seitdem die schönste Träne der MTV-Geschichte mit dem Video "Nothing Compares 2 U" weltweit berühmt wurde.Mit 24 schien sie am Ende ihrer Karriere angelangt zu sein.Und niemand weinte ihr eine Träne nach.
Der Versuch, 1992 mit dem Klassiker-Album "Am I Not Your Girl" stimmliche Großmacht zu demonstrieren, mißriet.Das Album, in dem sie auch abgesungene Schnulzen wie "Don't Cry For Me, Argentina" zum besten gab, klang, als hätten Andrea Jürgens und die Bundeswehr-Bigband ins Festzelt geladen.
Ihr Angebot, sich als Sozialarbeiterin um mißhandelte Kinder zu kümmern, wurde von den irischen Behörden ausgeschlagen."Wir brauchen keine Stars, die hier ihre persönlichen Probleme lösen wollen", hieß es.
Verbittert zog sich Sinead O'Connor im vergangenen Jahr in ihr Haus in London zurück, brachte ihren Sohn zur Schule, nahm Gesangsunterricht, nähte Kleider, ging mit Freunden ins Kino.Und versuchte, "ein ganz normales Leben zu führen".Sie hörte sogar auf, ihren Kopf zu rasieren, "um im Spiegel morgens nicht mehr mein altes Image zu sehen".Als die Vollzeit-Hausfrau eines Nachts ihren Ex-Mann und Schlagzeuger John Reynolds anrief, weil sie für ihren gemeinsamen Sohn Jake noch Schulkleidung brauchte, erzählte der ihr von neuen Songs, die er für sie komponiert hatte."Vielleicht höre ich sie mir nächste Woche einmal an", sagte sie. 20 Minuten später stand Sinead in Johns Tür."Dann ist sie mit einem Mikro ins Badezimmer gegangen und hat bis zur Dämmerung gesungen."John nahm die Lieder dieser Nacht auf.Doch niemand sollte sie je hören.Sinead hatte Angst, daß man sie wieder nur verspotten würde.
Daß "Universal Mother" nun doch veröffentlicht wird, liegt an ihrem Missionseifer."Ein heilendes Album" sei es geworden, glaubt sie.Die Lieder seien "Mantras", "Seelentherapien" - auch für sie selbst.
Natürlich kreisen die meist leisen Songs, oft nur schüchtern von einem Klavier unterstützt, um hilferufende Kinder und mißhandelnde Eltern, um Seelennöte, Alpträume und das unterdrückte Irland.Fast flüsternd singt sie ihre Zeilen, zerbrechlich und zitternd.Das kann gröberen Gemütern schon nach zwei Liedern den Appetit verderben.Aber wer richtig hinhören will, begreift, daß "Universal Mother" nicht nur ein "neues Album" von Sinead O'Connor ist, sondern die Ballade ihres traurigen Lebens.Und wer sich nach dem jahrelangen Seelenstrip das Interesse an dieser verwirrten und gequälten j ungen Frau bewahrt hat, mag es sogar für ihre intensivste Aufnahme halten.