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"Die Opfer wollen Taten sehen" (German)

Sinéad O'Connor zu Missbrauchsskandal

Von Peter Wensierski

Verletzen, beten, schweigen: Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat auch in Irland für Empörung und Entsetzen gesorgt. Jetzt erhebt die Sängerin Sinéad O'Connor schwere Vorwürfe gegen die kriminellen Geistlichen und ihre vielen Helfer.

 

Nachdem die irische Sängerin Sinéad O'Connor den SPIEGEL-Titel über "Die Scheinheiligen - Die katholische Kirche und der Sex" (7/2000) in der englischen Übersetzung auf SPIEGEL ONLINE gelesen hatte, nahm sie Kontakt zu SPIEGEL-Redakteur Peter Wensierski auf.

Die Pop-Sängerin ("Nothing compares 2 you") wurde als Kind von ihrer Mutter misshandelt. Ihr Song "Fire on Babylon" handelt von den Folgen. O'Connor engagiert sich seit Jahren für die Opfer sexuellen Missbrauchs in Irland und hat dabei mit ihrer Kritik an der katholischen Kirche wiederholt für Kontroversen gesorgt.

So zeriss die Sängerin 1992 in einer TV-Sendung im amerikanischen Fernsehen ein Bild von Papst Johannes Paul II. Bei diesem Auftritt sang sie das Bob-Marley-Lied "War". Dabei ersetzte sie das Wort 'racism' durch 'child abuse'. Jetzt hofft sie, dass in Deutschland die Opfer sexuellen Missbrauchs sich nicht so lange von der Kirche hinhalten lassen müssen wie in Irland.

 


Sinéad O'Connor redet nicht lange drum herum: "Wenn die Bischöfe in Deutschland - so wie die irischen Bischöfe - den Missbrauch in ihren Reihen vertuscht und verschwiegen haben, wenn sie die betroffenen Priester einfach in andere Gemeinden versetzt haben, dann sollte dies jetzt konsequent verfolgt und aufgedeckt werden."

Man dürfe sich nicht darauf verlassen, nur der Kirche die Aufklärungsarbeit zu überlassen. Die Opfer in Irland hätten zu viele Versprechungen von den Geistlichen gehört, die am Ende doch nicht eingehalten worden seien, sagt die Sängerin. Auch schnelle Rücktritte seien letzten Endes immer wieder nur "eine Flucht aus der Verantwortung gewesen".

"Wenn Menschen von einem Verbrechen erfahren und es nicht anzeigen, dann wird man dies strafrechtlich verfolgen. Warum sollen der Vatikan und die Bischöfe da anders behandelt werden?", fragt O'Connor.

Große Verbitterung bestehe in Irland darüber, so die Sängerin, dass weder der Papst noch andere Vertreter des Vatikans die Opfer bislang aufgesucht hätten. "Die könnten doch mal ihren Hintern bewegen, die Missbrauchten besuchen, sie wegen des Vertuschens um Verzeihung bitten und ihnen dafür danken, dass sie ihr Schweigen gebrochen haben."

"Nicht zugehört oder nicht geglaubt"

Das Wichtigste bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Irland war nach Ansicht O'Connors der sogenannte Murphy-Report, der nach drei Jahren Recherche im vergangenen November veröffentlicht wurde. Unter Vorsitz der Richterin Yvonne Murphy richtete das Justizministerium 2006 eine Untersuchungskommission ein. Sie hatte den Auftrag, eine repräsentative Auswahl von Missbrauchsfällen zwischen 1975 und 2004 zu untersuchen. Es ging dabei vor allem um die Frage, wie kirchliche und staatliche Stellen mit der Aufklärung der Fälle umgingen.

"Den Opfern wurde jahrelang nicht zugehört oder ihnen wurde nicht geglaubt", sagt O'Connor. "Doch mehr und mehr von ihnen haben sich hervorgewagt. Manche von ihnen waren sehr kompetente Leute, die sich gut artikulieren konnten. Ihre Geschichten begannen in Zeitungen, im Radio oder Fernsehen zu kursieren und haben andere dazu ermutigt, ebenfalls an die Öffentlichkeit zu treten. Bald kam es zu einer wahren Sintflut."

Die staatliche Kommission hörte Zeugen und sichtete Dokumente. Kirchen und Orden, aber auch die Gesundheitsbehörden mussten Akten zur Verfügung stellen. Zusammenfassend hielt der Report fest: "Die Kommission hat keinen Zweifel daran, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern (…) verheimlicht wurde. Die Strukturen und Regeln der katholischen Kirche haben die Verheimlichung erleichtert. Die staatlichen Autoritäten sind nicht ihrer Verantwortung nachgekommen, dafür zu sorgen, dass das Gesetz auf alle Menschen gleichermaßen angewandt wird und haben den kirchlichen Einrichtungen gestattet, außerhalb der Rechtsprozesse zu stehen. Dadurch leisteten sie der Verheimlichung Vorschub. Das Wohlergehen der Kinder, das absolute Priorität hätte haben müssen, wurde in der ersten Zeit nicht einmal als Faktor in Erwägung gezogen."

Reger Austausch

Sinéad O'Connor steht persönlich im regen Austausch mit zahlreichen Opfern des Missbrauchs in Irland, Sprechern wie Paddy Doyle oder mit engagierten Personen wie dem Journalisten Patsy McGarry von der "Irish Times", der kürzlich die irischen Bischöfe zu ihrem Besuch in Rom begleitet hat.

Auf die Frage, wer jetzt in Deutschland mit der Aufklärung der Vertuschung der Missbrauchsfälle beauftragt werden solle, gibt McGarry eine klare Antwort: "Der Staat! Die Kirche hat doch eine fürchterliche Geschichte. Wo immer Probleme mit dem Missbrauch aufgetreten sind, hat sie bewiesen, dass ihr alleine nicht zu trauen ist. Ihr Instinkt ist zuerst die Institution zu schützen."

Die katholische Kirche in Irland sei nie freiwillig bereit gewesen, ihren Affären auf den Grund zu gehen. "Sie haben sich gesträubt und gesträubt, durch Leugnen, Halbwahrheiten, Blockieren. Erst nach drei staatlichen Untersuchungen, die vernichtende Urteile über die Kirche und ihre Behandlung von Missbrauch gefällt hatten, kam alles heraus", so McGarry.

Als die Opfer aus dem Schatten der Kirche heraus an die Öffentlichkeit traten, fühlten sich auch die irischen Behörden verpflichtet, sich endlich einzuschalten. Bald gaben auch Diözesen und Ordensgemeinschaften ihre Unterlagen frei. "Wir wissen jedoch inzwischen, dass sie nur Teile ihres Archivmaterials preisgegeben haben", sagt McGarry.

Die Opfer wollen Taten sehen

So fragte die Murphy Kommission im September 2007 die römische Glaubenskongregation nach einer Information über die Missbrausfälle in Irland, die Kardinal Ratzinger schon 2001 per Brief von den irischen Bischöfen aus Dublin erhalten hatte. "Bis heute hat die Kongregation keinerlei Information geliefert."

Sinéad O'Connor zeigt sich überrascht, wie schnell jetzt in Deutschland einige Bischöfe um Verzeihung baten. "Die Missbrauchsopfer in Irland sind nicht mehr an Entschuldigungen interessiert. Sie haben sie oft genug gehört - selbst als die Misshandlungen weitergingen." Die Opfer "wollen Taten sehen" - einen Termin im Vatikan bekommen, eine angemessene Entschädigung, Hilfe und Betreuung für ihr angeschlagenes Leben, wirksamen Schutz vor Missbrauch.

"Der Papst hat vor wenigen Tagen gesagt, Missbrauch sei ein abscheuliches Verbrechen. Das ist richtig", sagt O'Connor. "Aber in Irland ist es zu spät für Worte. Das Leid der Opfer ist zu groß, um es mit Worten wieder gut zu machen."

(c) 2010 Spiegel Online